Auswahl von Ausstellungseinführungen
  • Dr. Christiane Häslein (2012)
    • Daniel Schieben zeigt Spuren des Menschen, die Umwelt als gestaltete Kulisse für seine Existenz. Der Mensch, auch wenn er abwesend ist, muss daher immer mitgedacht werden. Mit der Wohnhaussiedlung #1 widmete er sich seiner unmittelbaren Umgebung, der 1971-73 nach Plänen von Günter Kleinjohann errichteten Siedlung Auf der Hill in Trier. Die Arbeit ist beispielhaft für den Modus der Dekonstruktion, der zu Schiebens ästhetischen und anspruchsvollen Bildlösungen führt. Dieser Ansatz des Dekonstruktiven steht im Widerspruch zu der Regelhaftigkeit, die solche Projekte zwangsläufig hervorbringt und zieht sie zumindest in Zweifel. Mittels der Serien von mehrfach fotografierten Satellitenfotos zerlegt Schieben solche Einheiten, um die Fragmente verschoben und überlagert zu neuen, künstlichen Konstrukten zusammenzuführen. Mit der zunehmenden Distanz verschwinden Grenzen und Konturen, die Komposition wäre endlos erweiterbar. Diese Entgrenzung widerspricht grundsätzlich dem Konzept eines abgeschlossenen Siedlungsbaus. Die Reduzierung Schiebens im Einsatz der Mittel erstreckt sich auch auf die Farbigkeit: die Arbeit wirkt auf den ersten Blick schwarz-weiß, weist aber tatsächlich zarte Grüntöne auf. Sie ist damit eine poetische Begleitung zur heute wie zur Erbauungszeit kritisch gesehenen Architektur, kein lauter Debattenbeitrag. Auch in der Wohnhaussiedlung # 2 kontrastiert das Zurückgenommene der Komposition mit dem Anspruch der planenden Architekten, den Bezug zum Leben der Bewohner möglichst umfassend zu gestalten. Ausgangspunkt waren Handzeichnungen des amerikanischen Architekten Richard Neutra (1892-1970) für die Siedlung in Quickborn bei Hamburg, die 1963 errichtet wurde. Mit 67 Häusern war sie ähnlich groß wie diejenige in Trier. Die Arbeit konterkariert das Statische der Zeichnungen durch ihre Dynamik, beherrschend zieht sich eine Diagonale durch, die sowohl die Architektenpläne als auch Sehkonventionen negiert. Indem sie von links oben nach rechts unten fluchtet, scheint die Ebene zu kippen, mit dem Betrachter im Sturzflug. Konstituierend für die Arbeit ist jedoch ihre Unschärfe, um die Schiebens Werk immer wieder kreist. Auch sie „zerstört“ den Plan des Architekten, dekonstruiert seine Konstruktion. Eine der schönsten Trierer Wände, die seit der Antike allen Wechselfällen der Geschichte trotzende, ziegelsichtige Basilika-Mauer bildet den Hintergrund für ein sich umarmendes Paar: Zwischen der Wand. Wirklich nur den Hintergrund? Dieser Mauer wird durch Daniel Schieben eine andere Rolle zugewiesen, zugleich wird die tatsächliche Stellung der Personen verunklart. Schon der Titel der Arbeit weckt diesbezüglich Zweifel. Durch die Mehrfachbelichtung entsteht ein Rätsel, das der Betrachter durch Annäherung und Entfernung nicht lösen kann. Die Verdichtung, die eine der Konstanten in Schiebens Arbeit ist, findet hier zudem auf sehr engem Raum statt, der nach hinten fest geschlossen ist, die dreidimensionalen Bildobjekte werden in die Fläche gezwungen. Entscheidend für die Wahrnehmung der Arbeit ist die Distanz des Betrachters. Geht er nahe heran, gewinnt die Mauer an Bedeutung, die Personen scheinen sich in nichts aufzulösen. Erst mit einigem Abstand hebt sich das Paar deutlicher ab. Hell- und Dunkelwerte sind ebenso variabel abhängig von der Entfernung. In der Art eines Vexierbilds treten Kontur und Füllung der Figuren ebenso in Konkurrenz zueinander wie die Gruppe mit der sie einschließenden Mauer. Nach unseren Sehkonventionen bildet die Figur stets den Hauptakzent, während die Umgebung als Folie dient, vor der sie sich umso deutlicher abhebt. Diese Rangzuweisung wird von Schieben mit visuellen Argumenten bestritten. Die klare Rollenverteilung von Figur und Bildgrund wird so aufgeboben, der Künstler belässt den Betrachter im unklaren „Dazwischen“. Ganz anders das Vorgehen Schiebens bei der Serie Horizont. Ausgangspunkt war die Spiegelung einer menschlichen Figur. Doch statt des leicht zugänglichen, weil immer überprüfbaren Maßstabs weitete er die Bildidee in die „unmenschlichen“ Dimensionen eines Gebäudekomplexes in Trier-Mariahof. Ihn allerdings lässt Schieben fast auf ein Nichts zusammenschrumpfen und mit dem Horizont verschmelzen, diese Minimierung irritiert den Betrachter. Der Künstler relativiert so die reale Massivität der Bauten, ein Konzept, das durch die versetzte Spiegelung und durch die überaus zarte Farbigkeit der Arbeit sehr wirksam unterstützt wird. Zudem liegt die Spiegelachse genau in der Bildmitte, und die obere Hälfte erscheint dunkler. Beides widerspricht den Sehgewohnheiten, nach denen Horizontbilder eine ungleiche Flächenverteilung aufweisen und die Luftperspektive weiter Entferntes heller wirken lässt. Die Irritation durch sorgfältig ausbalancierte Flächen und die „auf dem Kopf“ stehende Ansicht sind von Schieben beabsichtigt. Auch mit dieser Arbeit möchte er den Betrachter von alten Seherfahrungen lösen und seine Neugier auf neue Sichtweisen wecken. Städtische Galerie Kloster Karthaus, Konz / Bildkonstruktion
  • Dr. Susanne Kaeppele, Mannheim (2011)
    • Nicht so wie es scheint: Daniel Schiebens Fotografien erinnern viel mehr an Malerei, an Siebdruck, (z.B. (k)ein Wald vor lauter Bäumen). Sie sind ganz still, verlieren sich im Weiß der Überbelichtung und vor der weißen Wandfläche. Schon seine Arbeit '80g´ entweicht dem Betrachter. Eigentlich lässt Schieben nur ein weißes Blatt Papier, das handelsübliche 80g Blatt, fallen. Aber was er aus dem Raum macht, der in der Überbelichtung ganz hell, weiß wird, das erstaunt den Betrachter sehr. Das Schweben im Raum wird so zum eigentlichen Bildgegenstand, es geht nicht mehr um Erkennbares, Verständliches, sondern nur noch um das fast konturlose Schweben bzw. hier in der Serie die einzelnen Stationen desselben. Der Raum und das Papier gehen fast in eins. Ähnliches ist über seine Horizontlinien zu berichten (Horizont): wieder sehr überbelichtet, wieder sehr malerisch in seiner eigentlichen Unkenntlichkeit und dann: sieht man die Horizontlinie, erkennt Häuser und Bäume, aber da, sie sind ineinander gespiegelt, berühren sich spiegelbildlich, greifen ineinander ein, scheinen sich ineinander zu verlieren. Wir kennen das ja immer mal wieder aus der Laienkunst, da wird die Spiegelung ja gerne hergenommen als einfacher Bildtrick. Aber was Daniel Schieben hier macht, ist völlig anders, ist so raffiniert, so elegant, so schön und gleichzeitig schwer erkennbar. Und es ist die einzige kleine Serie, die nicht wirklich in Schwarzweiß gearbeitet ist. So wie er die Konturen vernichtet und den Bildraum auflöst, experimentiert er auch mit der Farbigkeit, ich denke mal, er probiert aus, wie weit er gehen kann, dass der Betrachter noch irgend etwas merkt, erkennt, feststellen kann. Das ist natürlich besonders extrem bei den drei Porträts, die im Foyer (Distanz) hängen: sie scheinen die Pixel des Fernsehbildes zu zeigen, der Schwarzweiß-Kontrast ist so stark zurückgenommen, dass man fast nichts mehr erkennt, aber: es ist doch was da. Eigentlich sieht man die Gesichter am besten mit Abstand. Das wirkt sehr fremd, intim fast, verrätselt und dann doch erkenntlich. Ähnliches habe ich bisher nur in zeitgenössischer chinesischer Malerei gesehen, die ganz - nah am Zen - , das Nichtsichtbare sichtbar macht oder zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit hin und her schwankt. Bei der größten Serie hier 'In der Verborgenheit wartend?' verschwinden von oben aufgenommene Personen quasi im weißen Raum, überbelichtet, oder könnte man besser sagen, sie tauchen aus dem weißen Raum auf? Es geht auch hier wieder nicht um das Naheliegende, die Verhältnisse der Leute untereinander, auch nicht um Symmetrie, nicht um klare Aussagen über den Bildgegenstand. Ich behaupte, es geht ihm um das Bild an sich; was man mit dem Bild machen kann; wie lange es dauert; bis der Kopf weggebeamt ist; also ums Experiment. Ein Kollege und Freund von mir, Erik Schmid, bezeichnete Daniel Schieben einmal als einen Bildraumvernichter, Dokumentationsverweigerer und Vernebler, das sind wie ich finde sehr geeignete Unbegriffe für eigentliche Undinge, die aber Kunst sind. Keine Rede ohne Zitate: Tobias Rehberger „Das Unpräzise eines Kunstwerks ist doch genau seine Qualität. Dass der Betrachter anhand der Objekte Entdeckungen macht, die er ohne sie nicht gemacht hätte“.
  • Karl Ducoffre, Trier (2010)
    • Reduzierte Kontraste, eingeschränkte Grauwerte und zurückgenommene Farbigkeit kennzeichnen die Fotografien von Daniel Schieben. Unschärfen und Mehrfachbelichtungen erschweren das Erkennen der Motive. Die fotografierten Objekte verlieren ihre natürliche Körperhaftigkeit und verschmelzen in der Fläche des Bildes. Dekomposition ersetzt einen strukturierten hierarchischen Aufbau. Daniel Schieben widerspricht in fast jeder Hinsicht den Prinzipien der klassischen fotografischen Darstellungsweisen. Statt den entscheidenden Augenblick festzuhalten werden Bewegung und Zeit vorgeführt – etwa durch eine lange Belichtungszeit. Die Fotos sind immer das nachvollziehbare Ergebnis konsequenter Anwendung der spezifischen fotografischen Mittel, die, obschon hier digital, den Techniken der analogen Fotografie entsprechen. Durch die formalen Eigenschaften werden die Intentionen deutlich: Die Fotografie löst sich von den abgelichteten Gegenständen, wird autonom. Die künstlerische Gestaltung und die Ästhetik des Bildes emanzipieren sich. Die Trennung der Realität der abgebildeten Objekte, also des Naturvorbildes, von der Realität der materialen und formalen Bedingungen der Fotografie, also der Kunst, wird vollzogen. Die Abstraktion wird zur künstlerischen Strategie. Dabei verweisen die Fotografien in ihren bildnerischen Mitteln nicht nur auf sich selbst, sondern folgen einer konzeptionellen Idee in einem bestimmten Kontext, in dem das Motiv, losgelöst von seiner individuellen Bestimmtheit, auf einer allgemeinen Ebene bedeutsam wird. Höchstens wenige Sekunden dauert eine „lange Belichtungszeit“ einer fotografischen Aufnahme; Daniel Schieben beleuchtet in dieser Ausstellung in seinen Fotos einen Zeitraum von vierzig Jahren: Der Titel 70/10 spannt den Bogen von den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Der Fotograf selbst ist in den Siebzigern geboren; wir sehen Aufnahmen von der Umgebung der Richterakademie, die in dieser Zeit errichtet wurde, und wir sehen Montagen zeitgenössischer Portraits und Kinderfotos von etwa gleichaltrigen Freunden. In diesen persönlichen, architektonischen und topographischen Bezügen entsteht ein Spannungsfeld zwischen natürlicher Existenz und fotografischer Verfremdung, deren Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit dem Betrachter Raum für seine eigenen Wahrnehmungen und Deutungen geben. Hanno Rauterberg schrieb vor vierzehn Tagen in der „Zeit“: „Der Künstler unterbreitet Vorschläge, so könnte man sagen. Er wartet auf mit dem Angebot einer ästhetischen Erfahrung. Doch erst in der Rezeption, in der diskursiven Aneignung entsteht das, was wir Kunst nennen. Es braucht den Austausch, es braucht Kritik, denn erst sie überführt das, was Einzelne empfinden, in etwas Kollektives. Aus sinnlicher Erfahrung wird ein Streit über Vorstellungen und Begriffe.“
  • Prof. Dr. Erik Schmid, Krefeld (2008)
    • Immer mal gefragt, was Fotografie kann, ist zu sagen, dass sie auch dokumentieren kann; Orte zeigen und deren Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt einfrieren kann. Eine großartige Fähigkeit, welche Menschen einst begeistert hat und deren Vorzüge uns noch heute beim Betrachten von Familienbildern und beim Durchblättern von Zeitungen täglich gepriesen werden. Man kann solche Bilder anschauen und sagen: Das war doch dann und dann, da und dort und, ach, ich hatte ganz vergessen, wie viel wir getrunken hatten, und schau mal hier und schau mal da …. Ja, so was kann Fotografie und so macht sie uns große Freude, indem sie unsere Erinnerungen aufbrezelt und pflegt. Ein schneller Blick auf Daniel Schiebens Bilder genügt, um zu sehen, dass sie sich diesen Vorzügen der Fotografie total verweigert. Das „Das war doch dieses oder jenes dann und dann … „ funktioniert bei Schieben nicht. Die Bildräume sind einmal – bei IN DER VERBORGENHEIT WARTEND – unkenntlich gemacht. Ein cartesianischer Raum ist so weit aufgelöst, dass die darin agierenden Figuren schwerelos zu sein scheinen, sie schweben gleichsam. Die Überlichtung, die Vernebelung, die Verweißung, oder sollen wir es das Grauen nennen?, tut sein Übriges dazu. Erkennbare Orte oder räumliche Dispositionen kann Daniel Schieben unmöglich abgestrebt haben. Gut, die GESTOHLENEN PORTRÄTS sind da aussagekräftiger, aber auch darin erkennt man, wenn überhaupt, zufällig Bildgrundreste. Da der Verzicht auf das Dokumentarische bildnerisch so aggressiv zutage tritt, darf man Daniel Schieben angesichts des Gezeigten getrost als Bildraumvernichter, Dokumentationsverweigerer und – angesichts der durchgehenden Vernebelung oder Überbelichtung – auch als Weichzeichner, Konturenverwischer oder Linienverweigerer bezeichnen. Es ist aber nicht nur dies. Die Verlichtung des Bildes hat auch eine Farbverfälschung, geradezu eine optische Verwischung zur Folge zur Folge. Halten wir also fest: Daniel Schieben verweigert sich den klassischen fotografischen Skills der Dokumentation. Und halten wir auch fest: Er macht daraus gar keinen Hehl. Und wir bezeichnen ihn daher als ÜBERBELICHTER, VERNEBLER, BILDRAUMVERNICHTER, KONTURENVERWISCHER UND WEICHZEICHNER. Nun, das kann Jedem passieren. Er aber kann fotografieren und scheint das so zu wollen. Er scheint uns etwas Anderes zeigen zu wollen. Nur was? Da es wenig um das korrekt Abgebildete geht, scheint es mehr um das Bild selbst zu gehen. Da auf jedem Bild Menschen zu sehen sind, wenn auch manchmal nur schematisch, scheint es ihm im weiteren Sinne zumindest um Menschen zu gehen. Da deren Umgebung abstrahiert oder zufällig ist, scheint es aber nicht um die Menschen im abbildenden Bildraum zu gehen, sondern um Menschen in einem abstrahierten Bildraum. Da außerdem die Menschen kaum oder zufällig mit sich selbst identisch sind, scheint es um Menschentypen zu gehen. Und wenn mehrere Menschen darauf zu sehen sind, scheint es auch mal mehr um soziale Verhaltenstypen zu gehen. Man kann das auch daran sehen, dass ich Herrn Schieben unterstelle, dass er die Leute, die in den Bildern zu sehen sind, gar nicht kennt. Und ich glaube auch, dass er sie, wenn überhaupt, nur mit der Kamera, nicht aber persönlich kennen lernen möchte. Wir können an dieser Stelle vermerken, dass Daniel Schieben kein Paparazzo ist und auch keiner sein möchte. Denn der Paparazzo benutzt Persönlichkeiten, um zu Bildern zu gelangen. In der umgekehrten Betrachtung aber sehe ich eine ertragreiche Sichtweise. Das würde dann so klingen: Daniel Schieben benutzt die Fotografie, um an Menschen heranzukommen. Wenn der Paparazzo versucht, Spuren des Innersten einer Persönlichkeit abzulichten, so prallt Schiebens Objektiv an der Oberfläche der Menschen ab und löst sich im Bild auf -, so als würde ein Teil des Lichts, welches vom Motiv abprallt, sich auf der Bildfläche verteilen. Vielleicht wirken deshalb die Bilder verweißt? Was will einer, der Menschen fotografiert, im Grunde aber mehr am Bild, das sie abgeben interessiert ist, als an den Menschen selbst. Warum prostituiert der Mann seine Motive fotografisch? Entweder er ist an ihnen interessiert und traut sich nicht, oder aber ist verliebt in eine Bildidee, wofür die Menschen am besten geeignet sind. Ich denke es ist Letzteres, weil Schieben bereit ist, das Bildhafte seiner Fotografie so weit zu strapazieren, dass er die Menschen dabei vergisst. Die Menschen sind darin eine Metapher für das Bildhafte. So wie die Menschen in den Bildern auf dem Weg von Irgendwo nach Irgendwo sind, so sind es auch die Bilder. Sie suchen nach Möglichkeiten, nach der Möglichkeit der Selbstauflösung, nach der Möglichkeit des besonderen Augenblickes, nach der Möglichkeit des besonderen Bildes, dem Einfrieren des besonderen Momentes, schlicht nach der Möglichkeit des Besonderen der Fotografie. Deshalb sind sie ephemer, indifferent und suchend, ja vielleicht sogar forschend. Alles Suchen beginnt im Ungewissen und in der Verweigerung des Naheliegenden und dafür stehen diese Bilder als konstruktive Verweigerer.